Love: You’re doing it wrong? Yann Dall’Aglio (TEDxParis Talk Oct 2012)

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In this delightful talk, philosopher Yann Dall’Aglio explores the universal search for tenderness and connection in a world that’s ever more focused on the individual. As it turns out, it’s easier than you think. A wise and witty reflection on the state of love in the modern age. Filmed at TEDxParis 2012 · 10:42 · Filmed Oct 2012, Subtitles available in 28 languages.

View original interactive transcrip (English / Englisch):
www.ted.com/talks/yann_dall_aglio_love_you_re_doing_it_wrong/transcript?language=en

Was ist Liebe?

Dieser Begriff ist schwer zu definieren, da seine Anwendung sehr umfassend ist. Ich kann das Laufen lieben. Ich kann ein Buch, einen Film lieben. Ich kann Schnitzel lieben. Ich kann meine Frau lieben. (Lachen) Aber es besteht zum Beispiel ein großer Unterschied zwischen der Liebe zu Schnitzel und zu meiner Frau. Wenn ich das Schnitzel wertschätze, heißt das nicht, dass mich das Schnitzel auch wertschätzt, wohingegen meine Frau mich als ihren Augenstern bezeichnet. (Lachen)

Nur ein anderes Bewusstsein besitzendes Wesen kann mir zu verstehen geben, dass ich begehrenswert bin. Das weiß ich und deshalb kann ich Liebe genauer definieren, wie zum Beispiel das Begehren, begehrenswert zu sein. Und darin besteht das ewige Problem mit der Liebe: Wie wird man und bleibt man begehrenswert? Früher fand der Einzelne die Lösung für dieses Problem, indem er sein Leben den Regeln der Gemeinschaft unterordnete. Man hatte eine genaue Rolle, die man einnahm, abhängig vom Geschlecht, vom Alter, vom sozialen Status, und es reichte, diese einzunehmen, um von der ganzen Gemeinschaft wertgeschätzt und geliebt zu werden.

Denken Sie an ein junges Mädchen, das bis zur Ehe Jungfrau bleiben musste. Denken Sie an den jüngeren Sohn, der dem älteren Sohn gehorchen musste, der wiederum dem Patriarchen gehorchen musste. Ab dem 13. Jahrhundert ist ein Phänomen aufgekommen, vor allem in der Renaissance, in der westlichen Welt, das die größte Identitätskrise der Menschheitsgeschichte hervorgerufen hat. Dieses Phänomen ist die Moderne. Man kann sie in drei Prozessen zusammenfassen. Zunächst der Prozess der Rationalisierung der wissenschaftlichen Forschung, der den technischen Fortschritt beschleunigt hat.

Dann der Prozess der politischen Demokratisierung, durch den die Rechte des Einzelnen gefördert wurden. Und schließlich der Prozess der Rationalisierung der wirtschaftlichen Produktion und der Liberalisierung des Handels. Diese drei Prozesse zusammen haben alle traditionellen Bezugspunkte der westlichen Gesellschaften komplett zerstört, mit radikalen Folgen für den Einzelnen. Der Einzelne ist von nun an frei, Einstellungen, Entscheidungen und Gegenstände zu werten oder entwerten. Aber plötzlich ist er selbst mit dieser gleichen Freiheit konfrontiert, von anderen gewertet oder entwertet zu werden. Anders ausgedrückt, früher wurde mir Wert garantiert, indem ich mich den traditionellen Autoritäten unterwarf.

Heute ist er börsennotiert. Auf dem freien Markt des individuellen Begehrens handele ich meinen Wert jeden Tag neu aus. Die Angst des modernen Menschen ist seine Besessenheit danach: Bin ich begehrenswert? Aber wann ist man das? Wie viele Menschen werden mich lieben? Und wie reagiere ich auf diese Angst? Indem ich auf hysterische Weise Symbole des Begehrtseins anhäufe. (Lachen) Diese Anhäufung nenne ich, zusammen mit anderen, das “Erotische Kapital”. Tatsächlich basiert unsere Konsumgesellschaft weitgehend auf dem “Erotischen Kapital”. Und aufgrund dessen, aufgrund des Konsums, sprechen wir vom materialistischen Zeitalter. Aber das ist falsch!

Wenn wir Dinge anhäufen, kommunizieren wir nur auf andere Art und Weise. Das machen wir, um von ihnen geliebt zu werden, um sie zu verführen. Nichts ist weniger materialistisch, nichts ist emotionaler, als wenn ein junger Bursche eine brandneue Jeans kauft und sie dann an den Knien aufreißt, nur weil er Jennifer gefallen will. (Lachen) Der Konsumrausch hat nichts mit Materialismus zu tun. Es ist vielmehr der Jeansstoff, der im Namen Amors, dem Gott der Liebe, geopfert wird, oder eher im Namen des “Erotischen Kapitals”. Aber wie sollen wir vom heutigen Stand der Liebe aus künftig über die Liebe denken?

Man kann dabei zwei Hypothesen in Erwägung ziehen: Die erste besteht darin, dass wir auf eine Zunahme dieses Prozesses der narzisstischen Kapitalisierung setzen. Wie diese Zunahme aussehen wird, ist sehr schwer zu sagen, weil sie größtenteils von den gesellschaftlichen und technischen Innovationen abhängt, die an sich schwer vorhersehbar sind. Man kann sich das zum Beispiel wie auf einer Online-Dating-Webseite vorstellen, oder ein bisschen wie das Sammeln von Treuepunkten. So funktioniert das auch mit den Punkten des “Erotischen Kapitals”, die abhängig von Alter, Verhältnis Größe-Gewicht, Abschluss, Einkommen oder der Anzahl der Klicks auf dem Dating-Profil variieren.

Man kann sich auch vorstellen, sich einer chemischen Behandlung wegen einer zerbrochenen Liebe zu unterziehen, die das Verbundenheitsgefühl schwächt. Es gibt übrigens bereits eine Sendung auf MTV, in der “Dating-Coaches” Liebeskummer wie eine Krankheit behandeln. Diese Coaches nennen sich “Pick-up artists”. Also “artist” im Deutschen, das weiß man noch, das heißt “Künstler”, aber dann “pick-up”, das heißt “anheben”. Jedoch hebt man nicht irgendetwas an, sondern man hebt Tussis an. Es sind also “Künstler zum Anheben von Tussis”. (Lachen)

Liebeskummer nennen sie “one-itis”, “itis” ist eine lateinische Nachsilbe, die so viel wie “Entzündung” bedeutet. Also könnte man “one-itis” als “Entzündung des Einzelnen” übersetzen. Das ist etwas eklig. Denn für die “Pick-up artists” ist es eine Zeitverschwendung, mit jemandem eine Beziehung einzugehen. Das ist Verschschwendung des “Erotischen Kapitals”. Also muss man sie wie Krankheiterreger, wie eine Entzündung, zerstören. Man kann für die Liebe auch noch die Genkarte einsetzen, die man in sich trägt, und sie sich dann wie eine Visitenkarte vorzeigen lassen, um zu prüfen, ob die Verführung zur Fortpflanzung führen kann. (Lachen)

Natürlich wird dieses Rennen um die Verführung, wie bei allen Rennen mit starker Konkurrenz, ein großes Spektrum an narzisstischer Befriedigung hervorbringen, aber auch viel Einsamkeit und viel Frust. Also muss man damit rechnen, dass die Moderne, die Quelle des “Erotischen Kapitals”, in Frage gestellt wird. Ich denke da besonders an die kommunitaristischen Ansätze neofaschistischer oder religiöser Art. Aber solch eine Zukunft ist kein unabwendbares Schicksal. Vielleicht gibt es noch eine Möglichkeit, anders über die Liebe zu denken. Aber wie? Wie sagen wir uns von dem hysterischen Verlangen danach, begehrt zu sein, los?

Vielleicht, indem wir uns unserer Wertlosigkeit bewusst werden. (Lachen) Ja, im Ernst, ich bin wertlos. Aber ich versichere Ihnen: Sie auch. (Lachen) (Applaus) Wir sind alle wertlos. Es ist ganz einfach, diese Wertlosigkeit zu beweisen, denn um begehrt zu werden, bitte ich den anderen, mich zu begehren. Dies beweist, dass ich selbst keinen Wert habe. Ich selbst habe keinen eigenen Wert. Wir haben alle … Wir heucheln alle vor, ein Vorbild zu haben; wir heucheln alle vor, ein Vorbild für jemanden zu sein, aber eigentlich sind wir alle Hochstapler, ein bisschen so wie derjenige, der auf der Straße an einem adligen Herren gleichgültig vorbeigeht, obwohl er alles vorausgeahnt, alles berechnet hat, damit alle Blicke auf ihn gerichtet sind.

Also wenn wir uns dieser allgemeinen Hochstaplerei bewusst werden, die auf uns alle zutrifft, dann erleichtert das unsere Liebesbeziehungen. Deshalb möchte ich bis in meine Fingerspitzen begehrt werden, in all meinen Entscheidungen gerechtfertigt sein, dass es eine Hysterie der Erotik gibt. Und plötzlich will ich perfekt erscheinen, damit der andere mich liebt. Ich will, dass der andere perfekt ist, damit er mir meinen Wert zusichert, und das macht Paaren zu schaffen. Sie sind besessen von Erfolgserlebnissen und trennen sich beim kleinsten Misserfolg dann einfach so. Also im Gegensatz zu dieser Einstellung bringe ich die Nachsicht, die Nachsicht als Liebe, vor.

Was ist Nachsicht?

Nachsichtig zu sein, heißt die Schwächen des geliebten Menschen zu akzeptieren. Aber sie sollen auch nicht zu einem traurigen Paar werden, das sich gegenseitig pflegt. (Lachen) So schlimm ist es gar nicht. Ganz im Gegenteil, da ist viel Charme dabei. Nachsicht kann auch Freude bedeuten. Ich denke da besonders an eine Art Humor, die leider viel zu wenig praktiziert wird, eine Art Dichtkunst der reflektierten Unbeholfenheit. Ich denke an das Über-Sich-Selbst-Lachen. Für ein Paar, das schon lange zusammen ist, durch die Zwänge der Tradition, ist das Über-Sich-Selbst-Lachen eines der besten Mittel, um alles auszuhalten.

Source interactive transcrip (German / Deutsch):
www.ted.com/talks/yann_dall_aglio_love_you_re_doing_it_wrong/transcript?language=de




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